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verteidigerin

Sie steht an der Haltestelle beim Studentenwohnheim. Schon beim Einsteigen fällt mir auf, dass die Bluse exakt den Tick zu eng ist, der es Männern extrem schwer macht nicht hinzuschauen.
Sonst ein eher unauffälliges Wesen mit Brille, das leicht gewellte Blondhaar streng nach hinten frisiert und zum Zopf gebunden, schwarze Tasche, weißer Schirm.
Sie setzt sich rechts hinter mich auf den Platz, den Kinder lieben, weil sie da am besten nach vorne schauen können und der sonst eigentlich den Schwerbehinderten vorbehalten sein sollte.

Es regnet wie so oft in diesem Sommer und das Zwielicht des Morgens erzeugt eine ganz eigene Stimmung. Es ist seltsam still obwohl der Bus recht voll ist. Die Kinder sind mehrheitlich noch in den Ferien.

In Biesdorf bin ich etwas zu früh und muss auf den Bus aus der Gegenrichtung warten damit wir uns nicht in der engen Kurve, die zum S-Bahnhof führt, begegnen.
Das gibt mir die Gelegenheit einen längeren Blick rechts hinter mich zu werfen. Sie ist völlig versunken, fixiert auf den Text in ihrer Hand, wenn sie manchmal leicht aufschaut geht der Blick ins Leere und die Lippen bewegen sich tonlos Gedanken formulierend.

Spürbare Konzentration an der sich auch während des restlichen Weges nach Friedrichsfelde-Ost nichts ändert.
Als wir die Endhaltestelle erreichen, lässt sie sich Zeit zum Auftauchen während sie die Unterlagen einpackt und verlässt den Bus erst, als ich den Fahrzettel schon ausgefüllt habe. Sie geht durch die vordere Tür und als sich unsere Blicke kurz treffen, kann ich es nicht lassen zu fragen: „Prüfung?“

„So ähnlich: Diplomarbeit verteidigen“ antwortet sie und sowohl das Lächeln als auch die Bluse unterstreichen die selbstsichere Ruhe, mit der sie sich Richtung Straßenbahn wendet.
“Na dann: viel Glück“, gebe ich mit auf den Weg und bekomme ein freundliches Winken zur Belohnung.

Auf der letzten Runde vor meinem Feierabend sehe ich sie gegen Mittag wieder. Sie kommt in Biesdorf von der S-Bahn, geht aber nicht zum Bus, sondern biegt zu Fuß ab in Richtung Oberfeldstraße, wo das Studentenwohnheim liegt.
In der engen Kurve habe ich sie eingeholt und bin versucht anzuhalten, um aus dem Fenster zu fragen, wie es denn gelaufen ist mit der Verteidigung. Aber die Stelle ist zu unübersichtlich. Es kommen Fahrzeuge entgegen, die ein dort stehender Bus behindern würde.

Der Blick in den Rückspiegel zeigt mir ein beseeltes Grinsen, das eigentlich nur eins bedeuten kann.

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