5

Zum See

These things you keep, you’d better throw them away
You wanna turn your back, on your soulless days
Once you were tethered and now you are free
Once you were tethered well now you are free
That was the river, this is the sea!

Mike Scott / The Waterboys

Bis vierundzwanzig Grad soll es am Wochenende werden. Die Wiesen im Park am See stehen voller Krokusse und an den Kastanien zwischen den Riegelbauten knospt und platzt es prall vor sich hin, dass es eine Pracht ist.

Das Fahrrad bekommt endlich wieder die nötigen Meter. Zur Arbeit, zum Einkaufen, ins Kino, zum Konzert oder zwischendurch einfach so. Es geht wieder kreuz und quer durch Berlin. Der Frühling bewegt und er bewegt auch sonst allerhand.

Am meisten mag ich die Wiederkehr der Routinen des letzten Herbstes, von denen ich nicht zwingend annehmen konnte, dass sie wiederkehren würden. Das Winken zum Abschied, dann der Weg zum See. Das hat sich als morgendliches Bewegungsprogramm etabliert und macht eine freundliche Meditationsstunde zu Beginn meiner freien Tage. Diese werden dadurch strukturierter und irgendwie ist Mensch auch in der Birne wacher, wenn das gesamte Aggregat schon mal hochgelaufen ist.

Gestern Abend war’s nach dem Kino das Rad fahren im Regen durch den Friedrichshain. Die Nähe, die Ruhe und das viele was in den wenigen Worten steckte, die gesprochen wurden. Jetzt stehe ich am See und die Sonne lugt ab und an ein Stückchen durch die Wolken. Es ist so ein Frieden und eine Ruhe in diesen Momenten, dass auch die unumgänglichen Jogger nicht weiter stören. Familie Schwan scheint über den Winter doch irgendwie dezimiert, aber ich kriege es nicht wirklich zusammen, weil sie eben nicht mehr ständig im kompletten Verband unterwegs sind.

Die Fenster sind noch ungeputzt, was man jetzt besonders am Morgen und am Abend sieht, wenn die Sonne tiefstehend direkt darauf geht. Putzen und Aufräumen gehören wohl auch in diese Zeit, noch aber hat die Muse vorrang. Es steht einiges an und die Veränderungen sind nicht trivial. Teilzeit ab Mai. Das Finanzloch will mit alternativem Einkommen gefüllt sein.

Zum ersten Mal eine Idee, die mitten in der Nacht am Küchentisch als „Claim“ geboren, auf dem Weg zum Hof am See entlang in einem Gedankenstrang mündete, der inzwischen den Umfang eines Exposes hat und der in den nächsten Wochen zum Business Plan reifen soll. Es fügt sich gut ein in das gesamte Drumherum und erstmals seit ewiger Zeit sagt auch mein Bauch mal wieder ja, nicht zuletzt weil ich hierbei ausschließlich auf mich alleine zurückfalle. Was sich im Leben nicht ergeben hat, obwohl es vielleicht schlauer gewesen wäre, ergibt sich jetzt im neuen Projekt: Ohne Partner, ohne Bindung an jemand anderes. Nur meine Hand für mein Produkt.

Die Lebensdinge für eine bessere Zeit sind gepflanzt, jetzt müssen Aufzucht und Pflege mit dem selben Schwung, der selben Euphorie beseelt werden! Da ist die Liebe äußerst hilfreich, vor allem dann wenn die Geliebte der „Arsch hoch Fraktion“ angehört was dem selbstzufriedenen Phlegma, mit dem ich mich gerne auszubremsen Pflege, konsequent den Riegel vorschiebt. Langsam beginnt sich das aus der Balance geratene Verhältnis zwischen Mammon, Kreativität, Muse und purem Genuss so ein zu pegeln das ich das Gefühl bekomme mein Leben „wieder zu haben“, Stück für Stück wieder „ich selbst“ zu werden.

So gelingt mir langsam auch ab und an Langmut gegenüber der Vergangenheit. Von da wo ich jetzt auf sie zurückschaue bleiben zwar immer noch große Irritation, Verletzung und Unverständnis aber es tut, von sentimentalen Momentabstürzen abgesehen, nicht mehr wirklich weh. Dafür sind die Luft zu frisch, der Mut zu groß und die Strahlen der Sonnen, die mir scheinen zu warm. Das schlechte Karma von Wut, Trotz und Trauer treibt er auch langsam aus, dieser Frühling und dann ist da ein tiefes Wissen das es gut sein wird.