Der Herbsttag nach dem allerhinterletzten Sommertag, der im Gegensatz zum Tag davor, schon sehr eindeutig kein solcher mehr war zieht kurz vor Leipzig am Horizont auf. Sonne links grad‘ halb und gefühlt schnell aufgehend, hinter Windrädern, flacher Landschaft, flankiert von Waschküchenwolken rechts oben, kreuz und quer Kondensstreifen und rhythmisch vorbeigleitenden Oberleitungsmasten.

Die Nacht hinaus aus dem gestrigen Tag war bedeutend schöner, erholsamer und freudvoller als diejenige davor, in der ich keine Ruhe fand und zum Schluss drei komatöse Stunden mit klassischem Verpennen gekrönt wurden, da ich aus dem wirren Traum Nirvana in dem ich mich befand den Handywecker gekilled hatte und auch die Tochter, die eine der seltener werdenden Nächte im ‚Papabett‘ verbringen durfte, ohne Zuckung blieb.

Heute jedoch Wecker um halbfünf, Aufbruch um viertel sechs, ICE um habsieben, gefühlt wie Messer durch weiche Butter.
Wach und focussiert, durch die Stadt gleitend den Morgen und Seine Menschen nur sehen. Abgeschirmt sein unter sanfter Stimme in meinem Ohr und der Gewissheit ‚auf dem Weg‘ zu sein. Das vertraute Gefühl des Rollkoffers in der einen und des Instruments in der anderen Hand. Allein unterwegs war ich in den letzten Jahren nur noch zu seltenen Dienstreisen. Jetzt ist wieder Rock’n Roll und das blanke, pralle, nicht immer gnädige aber doch von unschätzbarer Schönheit und seinen unendlichen Möglichkeiten getragene Leben hält seit dem Sommer langsam wieder Einzug.

Diese Freiheit ist mir nicht teilbar. Sie ist, ganz früh entdeckt, integraler Bestandteil meines Seins und wird benötigt um äußere Pfade mit inneren zu verbinden, Raum zu schaffen in dem Abstand das Gebot ist um aus der veränderten Perspektive die Dinge besser zu sehen und sortieren zu können. Wals nicht sehen sonst, wegen Bäumen und so….Dafür muss ich allein sein.
Die Bewegung und das ‚sich Entfernen‘ sind so elementar, wie das ‚zurückkehren‘ des inneren Leuchtmittels in die gewohnte Fassung. Das funktioniert auch in kleinen, alltäglichen Formaten, ist aber beim richtigen Reisen in räumliche und zeitliche Distanzen bedeutend effizienter, weil größer, ausgeprägter und umfassender.

Dabei spielt der Zweck der Reise zunächst keine Rolle und auch das Verkehrsmittel ist egal. Ob im Zug oder selbstfahrend mit dem Auto, wo die Routine und Erfahrung von tatsächlich Millionen Kilometern, einen verlässlichen Automatikmodus kreiert, der verlässlich genug Kapazität für ausgeprägte Bewegungen in Innenwelten verfügbar hält.
Die Richtung dieser Ausflüge ins Denken ist steuerbar durch Trigger. Bestimmte Landschaften, bestimmte Musik, solche Sachen. Zu meiner implodierten Herkunftsfamilie komme ich zum Beispiel umstandslos indem ich als Proviant das Folgende inszeniere:
Kastenweißbrotsandwiches mit gekochtem Schinken, Käse, Salatblatt und Tomate, die zuverlässig das Weißbrot durchsuppt, wahlweise ersetzbar durch Scheiben vom hartgekochten Ei, beides zusammen war Tabu.
Das gehörte von der Hand meiner Mutter hergestellt zu jeder Urlaubs-Autofahrt mit ‚Oskar‘, dem weißen Peugeot 404 mit durchgängiger Sitzbank vorne und Lenkradschaltung. Kein ordentlicher französischer Film aus den Siebzigern kommt ohne dieses Fahrzeug aus und auch lediglich der Anblick der Heckflossen dieser Designikone teleportiert mein Denken und meinen Empfindungsapparat unmittelbar in diesen Lebensabschnitt zurück.

Hier findet sich ein System, das beliebig nutzbar ist um komplexe Zusammenhänge zu klären und mich sowohl auf Sach- als auch auf emotionaler Ebene in die Lage zu versetzen Entscheidungen zu treffen, Einschätzungen vor zu nehmen oder mich überhaupt Dingen in Ruhe zu nähern, die es ‚umfassend‘ brauchen.
Das benötigt eine meditative Komponente, die in der Regel in der Bewegung, egal wie diese ausgeführt ist, besteht und für diese sorgt heute der ICE 503 Berlin-München.

