lebensorte – ’salut‘ am schlesi (x-berg)

The Marth mit ihrer Hedi und Sippe beim Alba Spiel, ich über die Oberbaumbrücke zu Salut am Schlesi. Die Wunde ist der Ort der Heilung, also auf nach X-Berg, wenn schon mein Zen-Balkon im November nicht mehr wirklich der Platz zum Schreiben ist und ‚draußen‘ trotzdem eine feine Sache.

‚Salut‘ gehört inzwischen, wie meine Küche(n) oder die rote rieder‘sche  Picknickdecke zu den ‚Lebensorten‘, die mich über die Jahre in den unterschiedlichsten Konstellationen, Zusammenhängen und Phasen begleitet haben. In diesem Falle ist das Besondere, dass der Ort lange vor meiner Berlin Zeit auftauchte und sich in diese hinein und über die Jahre durch sie hindurch zu einer Konstanten entwickelt hat, die in meinem Leben bis dahin kaum Entsprechungen findet.

Genau genommen gibt es nur eine, die sich ebenso gegensätzlich verhält was die Beschaffenheit des Ortes betrifft, wie sich die Wirkung gleicht, die beide Orte auf mich ausüben.

Der Friedhof außerhalb der kleinen Gemeinde Breitsesterhof im nordpfälzer Bergland ist so gelegen, das man über eine Senke hinweg in der die Landstraße zwischen Thallichtenberg und Baumholder verläuft auf einen Aussiedlerhof schaut. Dort war das Grab‘ meiner Großeltern. Auf dem Grabstein stand wie selbstverständlich mein Name, da mein Vater, mein Großvater und etliche meiner Vorväter diesen Namen trugen. Wenn ich es recht erinnere hat mein Lehreronkel das mal bis in die 18hunderter Jahre zurück verfolgt als die Familie wegen irgendeiner Pest aus Österreich weg musste und ihnen von irgendwem Land im Ostpreussischen zugewiesen  wurde. Gumbinnen im Kreis Goldap, der Geburtsort meines Vaters.

Mit meinem Onkel hat er diesen Hof gebaut, damals Maurerlehrling in Baumholder, wo der Familie nach ‚der Flucht‘ wiederum Land zugewiesen wurde, dass dieser älteste Bruder meines Vaters dann bewirtschaftete. Die ‚Alten‘ dort begraben waren als Kind mein weitester Link in die Vergangenheit und auf dem Grabstein stand neben der Lina, von der Martha ihren zweiten Namen hat, auch der Großvater – Johannes den ich, wie den Vater meiner Mutter nie kennen gelernt habe.

Oberhalb des Grabes gab es einen Absatz, den eine Steintreppe empor führte und oben zwischen Birken ein paar Kriegsgräber der gefallenen des Ortes im 2. Weltkrieg. Daneben eine Bank.

Mein Job bei den Besuchen dort war das Wasser, welches vom genau auf der entgegen gelegenen Seite des Friedhofs aus einem Brunnen geholt werden musste. Es war eine große Freude etliche Gießkannen, die dort an einer Metallstange aufgehängt waren, mit Wasser zu füllen und den ganzen Weg quer zu schleppen, wobei ich mir nie klar geworden bin, welches denn nun der effizienteste Weg ist.

Während meine Mutter und meine Oma damit beschäftigt waren das Grab herzurichten, meist weil sich irgendein Besuch aus der Verwandtschaft meines Vaters angekündigt hatte, saß ich, wenn kein Wasser gebraucht wurde auf eben dieser Bank, schaute über die Senke auf den Hof, umgeben vom Andenken an die  Weltkriegsgefallenen und ‚berührte‘ wohl jedes mal meine indirekte Vergangenheit, meine Herkunft. Dazu gehörte der eigene Name auf dem Grabstein genauso, wie die Tatsache, dass mein Vater nur wenn es absolut unumgänglich (Verwandtschaftsbesuch!) war da hin kam und die Übernahme der Grabpflege durch Mutter und Großmutter ein bekanntes Konfliktfeld zwischen meinen Eltern war.

Unabhängig davon fand ich in dem Ort auf der Bank zwischen den Birken und den Kriegsgräbern eine ganz eigene Ruhe, die ich später unter Anderem in der Sterbephase meiner Mutter immer wieder dort gesucht und gefunden habe.

Nun also Berlin…..Schlesi….Salut, ein halbes Jahrhundert später.

Komplett anders das Setting, diametral entgegengesetzter Ort.

1986 zum ersten Mal eine Minipizza für zwei Mark an der Ecke gegenüber vom U-Bahnhof genommen und über die Budgetschonung gefreut. Finsterer Ort, West Berlin-Ende. Über die Oberbaumbrücke? Pah. Eiserner Vorhang. Die Randlage hielt den Kiez rottig und X-Berg war damals für den gerade volljährigen Hinterpfalzwessi, der ich war, eh ein anderer Planet. Dazu eben diese harte Grenze, die ja dann insgesamt schon damals durch die Begegnung mit Bärbel eine nicht unwesentliche Rolle in meinem Leben spielte.

Salut erstmals in den 90’ern als X-Berg auf einmal ‚mittendrinn‘ und das Schlesische Tor nicht mehr Endstation war.  Der trocken, nicht zu süße türkische Baäckereikram ging mir ebenso ein, wie der ewige Schwarztee, den ich prägend von der Türkeireise mir Henning Jahre zuvor mitgebracht hatte.

Dazu der Ort an dem das Leben immer und ungebrochen vorbeifließt, wie der Bäcker offen hat: 24/7, das ganze Jahr über. Hier ist für mich die Herzmitte Berlins, wo es in der Art schlägt und pulsiert, dass ich mich wiederfinden kann in all dem bunten, schrägen, abseitigen, traurigen, lebensfrohen und niemals abgehobenen Leben welches sich vom Kanal her erstreckt. Neukölln damals noch kein Thema und das inzwischen auch deutlich gentrifizierte Treptow auf der anderen Seite des Kanals, wo wir in den letzten Jahren den unverbauten Blick von der Dachterrasse auf das X-berger Silvesterfeuerwerk hatten, war noch schwer Ostgeprägt, der 194’er schon etabliert aber immer noch gefühlt ‚grenzüberschreitend‘.

Standardprogramm bei jedem Aufenthalt in den darauf folgenden Jahren, dann nach dem Umzug in die Stadt Zufluchtsort an Sonntagen, während ausgedehnter Charité Aufenthalte zwischen 2007 und 2009. ‚Im Leben sein‘, statt auf Station: das gab‘ es hier, Sonntag für Sonntag, mit schwarzem Tee und Nusshörnchen, stundenlang.

Zeitgleich beginnend der Club unterm U-Bahnhof wo über die Jahre ungezählte großartige Konzerte zu erleben waren. Unwiederbringliche Momente des Glücks, wenn sich Trixie Whitley für zwei Songs in ihren damals schon toten Vater wechselbalgt, das gesamte männliche Ü-50 Publikum die Thirdeyeblind Hits Wort für Wort mitsingt und der Sänger die hohen Parts, die er nicht mehr schafft einfach auslassen darf ohne, dass es auffallen würde in all der Seeligkeit. Nur getoppt vom schmerzzerfressenen Willis Earl Beal der, loneliest man alive‘ als der Bühnenstrom Kollabiert einfach solo, acapella das Konzert im Dunkeln  zu Ende bringt und sich jegliche Würdigung wie auch Zugaben  verbittet. Ewigkeitsmoment.

Vor wie vielen X-Berg-Events sich hier getroffen wurde hab‘ ich nicht gezählt aber an diversen entscheidenden Tagen hat auch dieser Ort seine Rolle gespielt, mir zugehört, mich verortet, mich beruhigt und mir Klarheit und Denkschärfe ermöglicht und das obwohl hier genau das Gegenteil von Ruhe und Einkehrumgebung gegeben ist.

Aus dem Fotoautomaten nebenan stammen entsprechend viele der schwarzweis Streifen, die seit jeher mein Berlinleben begleitet und entsprechende Momente eingefangen haben. Seit dem Abriss der diplomatischen Beziehungen nach Treptow führt es mich seltener automatisch hier vorbei. In den letzten Jahren lag ‚Salut‘ oft quasi auf dem Arbeitsweg und gab dann auch meist das Trockenteilchen zum Bürokaffee her. Heute bewege ich mich manchmal bewusst hierher um mir den Ort und seine stärkende Wirkung zu erhalten, manchmal ergibt es sich, wie heute wo s’Marth mit der Familie ihrer Freundin in der Dingsbumsarena zum Alba-Basketballspiel ist. Abholen unnötig. Das große Kind kennt den Ort und findet den Weg über die Brücke alleine. So braucht es kein Date. Wann immer das Spiel zu Ende ist braucht sie 20 Minuten. Bis dahin drei Stunden Zeit zum Sein, Sitzen, Schauen, Schreiben, Schwarztee trinken….

Dann gibt es ein X-Berg Abendbrot beim Pizzamann auf der Ecke und auf dem Heimweg holen wir bei Mamanke in der Danziger noch den Schulranzen für morgen früh.

ICE 504

Vorbehaltlich des, völlig am ursprünglichen Plan vorbei aus dem Ruder gelaufenen, Aufenthalts im Bayrischen, der hier nicht her gehört, erreiche ich den ICE 504 München – Hamburg Altona via Berlin.

Das Zeitpolster zum Umstieg von der S-Bahn ist ok bemessen. Trotzdem ist mir der rappelvolle Bahnhof schwer. Hektische Menschen überall und da ich irgendwie doof ausgestiegen bin braucht die Orientierung einiges an Energie. Der Weg durch das Münchner HBF-Baustellenchaos einmal die ewige, unterirdische Mall entlang und dann Slalom durch die Passantenflut.

Das Gefühl noch ‚irgendetwas‘ zu mir nehmen zu müssen veranlasst mich zum Kauf einer Bretzel und eines Ayran. Ich erreiche Gleis 20 früh genug um noch zu essen und zu rauchen, bevor der bereitstehende Zug geöffnet wird. Voller Bahnsteig – voller Zug. Um nicht in der übliche, hektische Gedränge zu geraten steige ich ziemlich als letzter ein, lasse mir Zeit.

Ich erreiche meinen Platz, stelle enttäuscht fest, daß auch der Sitz neben mir (Gang) besetzt ist. Es braucht einen Moment bis ich sortiert bin und alles so bei mir habe, daß auch mein Rucksack im oberen Gepäckabteil verstaut werden kann ohne das ich ständig wieder ran muss.

Abfahrt fast pünktlich, Buch vor die Nase. Viereinhalb Stunden sollten reichen um ‚Krach‘ von Tijan Sila fertig zu lesen. Zwei Reihen weiter telefoniert ein jungscher, stylischer Koch mit seinem Cateringunternehmen und gibt Anweisungen zu Ausfrieren von Beeren für den nächsten Tag. Er überlegt lautstark, wie sie mit ihren begrenzten Kapazitäten 360 Portionen Apfelstrudel ‚in Time‘ auf die Reihe bekommen ‚….das kann man nicht vorkochen!‘

Das Gespräch dauert nun schon eine Weile und fängt an zu nerven. Konzentration auf den Punkrockroman geht so gar nicht. Der wortlose Typ neben mit tindert ungehemmt in sein Smartphone, wenn ich wollte könnte ich jedes Wort mitlesen.

Ich widerstehe der Versuchung und suche weiter nach Konzentration. Das führt dazu, dass ich frühzeitig spüre, wie mir schlecht wird. Das Gefühl kenne ich. Vermutlich war das schnell konsumierte Joghurtgetränk für meinen bekanntermaßen laktosekritischen, alternden Stoffwechsel doch zu viel. Es bleibt nicht viel Zeit.

Bis Kollege Nachbar sich erhoben hat, was offensichtlich eine Zumutung bedeutet, vergeht ein Moment. Platz 88 ist ziemlich in der Mitte des Wagons und ich wende mich nach rechts. Beim gehen zwischen den Sitzen wird mir schwindelig. Ich muss mich an den Sitzlehnen abstützen, bekomme die ersten Blicke der Menschen noch mit, realisiere aber nicht, dass etwas GAR NICHT in Ordnung ist. Ich will einfach auf jeden Fall vermeiden mitten in einen randvollen ICE zu kotzen und überhaupt scheint mir das WC gerade als einzig adäquater Aufenthaltsort. Emergency exit.

Ich erreiche das Ende des Wagons, stur die Zugtoilette ansteuernd.

Cut. Synkope.

Als ich wieder zu mir komme liege ich mittig im Zwischenraum und es sind schon sichtlich besorgte Menschen um mich bemüht. Eine junge Frau sitzt neben mir auf dem Boden, versucht beruhigend zu wirken und bedeutet mir mich nicht zu bewegen. Ihr Freund stürmt los Richtung Dienstabteil um den Zugbegleiter zu informieren. Sehr schnell erscheint dieser, peilt die Lage und verschwindet wieder. Ganz kurz danach über die Bordlautsprecher die Frage nach im Zug befindlichem medizinischem Personal.

Innert weniger Minuten arbeiten ein Rettungsassistent, ein Rettungssanitäter und ein Arzt an und mit mir. Ich muss gefallen sein wie eine Eiche. Linksseitig bin ich wohl mit dem Kopf hart angeschlagen, was SOFORT eine irre Beule auf meiner hohen Stirn verursacht. Auch der linke Oberschenkel macht sich bemerkbar. Hier baut sich der Schmerz aber eher langsam auf.

Ich bekomme Wasser gereicht, darf mich aufsetzen und anlehnen, was die absolut angenehmere Position ist. Ein Arzt kommt dazu und der bordeigene Notfallkoffer. Die Herbeigerufenen arbeiten beeindruckend professionell zusammen und ich merke, wie ich mit etwas Verzögerung auch in der Situation ankomme. Erster klarer Gedanke: wenigstens keine ‚Gaffer‘.

Gefühlt tausend Fragen. Sind sie Herzkrank, Diabetiker, Asthmatiker, Alkoholiker und so weiter.
Dabei Blutdruckmessung (tiefster Keller), Zuckertest (‚jetzt pikt es kurz‘) und seitens des Arztes die üblichen neurologischen Schnelltests. Ich antworte möglichst konzentriert, kooperiere, wo notwendig und fühle keinerlei Angst. Wenn ich hier etwas nicht bin, dann alleine.

Mir geht es zunehmend besser. Vorige Woche habe ich mit meiner Ärztin noch besprochen ob wegen der massiven Gewichtsabnahme der letzten Monate die Dosis der einzunehmenden Blutdrucksenker angepasst werden sollte. Wir haben uns auf engmaschigere Dokumentation in diesen Tagen geeinigt, damit sie eine bessere Entscheidungsgrundlage hat. Fast vierzig Kilo in zehn Monaten, ein Kilo pro Woche im Schnitt sind für den Körper schon heftig aber bisher ging es mir damit ausnehmend gut.

Nach Erörterung der Vorgeschichte und weiteren neurologischen Tests (Hände im Kreuzgriff zunehmend fester drücken, Finger folgen etc.) legen die drei sich bis eben vollkommen Fremden Herren eine absolut professionelle Zusammenfassung des Zustand nebst Einschätzung der als notwendig erachteten nächsten Schritte auf’s ICE-Zwischenraumparkett.

Ich kann folgen, finde Aspekte wie ‚außerplanmäßiger Halt‘, Notarzt, Klinik etc. dann vielleicht doch ein wenig hoch gehängt. Mir war schlecht, ich hatte einen Kreislaufkollaps und bin (echt doof) gestürzt. That’s it.

Da ich mich zunehmend besser fühle fange ich an die Fürsorge als leicht übertrieben zu empfinden, respektiere aber die große Ernsthaftigkeit meiner Helfer und äußere mich erst als ich nach meiner Meinung gefragt werde. Meine These ‚wird schon besser, möchte nach Berlin‘ kontert der Arzt brottrocken mit der Frage ob ich denn Kinder habe. Als ich das bestätige erklärt er mir kurz die beiden Fakten, die ihn zu seiner Einschätzung bringen. Ich war wohl annähernd zwei Minuten bewusstlos. Alles über 30-60 Sekunden ist wohl bedenklich und macht weitere Abklärungen nötig.

Die Beule am Kopf ist Tennisballgroß und er hält ein CT für dringend geboten, damit lebensgefährliches wie unentdeckte Gehirnblutungen ausgeschlossen werden können. Die Umstehenden sind seiner Meinung. Zuletzt spricht die junge Frau, die anfangs bei mir saß und teilt mir mit, dass auch sie mir sehr dankbar wäre, wenn ich zustimme. Sie ist sichtlich angefasst.

Minuten später verkündet der Bordlautsprecher den außerplanmäßigen Halt in Ingolstadt wegen eines medizinischen Notfalls, der Zugbegleiter und zwei Fahrgäste kramen meine Sachen aus dem Wagon, packen alles ein, nebst im Gelbeutel (Kleingeldfach, damit er beim Auspacken der Krankenkassenkarte nicht aus Versehen verloren geht) verstautem Zettel, der mich ‚später‘ ggf. zur Weiterfahrt berechtigt. Da hab‘ ich aufgrund des Sparpreistickets zwar wenig Hoffnung aber das Bemühen ALLER rührt mich und das Ticket ist jetzt echt das Unwichtigste.

Ich habe ‚den Hut abgegeben‘. Ab hier bin ich teilnehmender Beobachter meiner selbst und der Action drumherum einschließlich der Interaktion mit den Menschen um mich herum, die nach wie vor so professionell wie freundlich ‚meine‘ Angelegenheit regeln.

Ingolstadt, die Notfall Kavellarie am Bahnsteig, Türgenau. ‚Strukturierte Patientenübergabe‘ unter Profis, die schnelle Entscheidung, dass ein ‚Arbeiten‘ am Patienten besser im Fahrzeug stattfindet, kurzer Händedruck mit dem Arzt aus dem Zug und ‚Dank an Alle‘.

Dann Bahnsteig, Aufzug, Bahnhofshalle auf der Liege, immer begleitet vom freundlichen, straighten jungen Notarzt, der in jeder Sekunde ‚Kontakt hält‘, dem der genaue Beobachtungsmodus im Gespräch anzumerken ist, ohne dass es ‚unlocker‘ wäre. Straightness ohne Hektik, ständige Kontrolle ob ich nicht doch noch einmal abkippe. Der Ausstieg aus dem Zug, aufrechte Haltung war grenzwertig, hinlegen auf die Trage war gut. Ich fange an zu verstehen worum es geht, mein Kreislauf ist einfach nach wie vor instabil. Die beständige Frage nach Brustschmerzen, Luftnot etc., die ich freundlicherweise konsequent verneinen kann tut das Übrige.

Im RTW dann das choreografierte Vollprogramm. Vitalfunktionen, Zugang, EKG, neurologische Basisuntersuchungen und immer wieder die Direkte Ansprache zu organisatorischem. Krankenkassenkarte: Oben im Rucksack im Geldbeutel innen. Keine weitere Erklärung nötig, der junge Mann hat das selbe Modell. Im Hintergrund, ich habe sie bis zum Ende nicht einmal gesehen, die leitende Notärztin, die Ausbilderin des jungen Kollegen, der fertiger Arzt, gerade das Notfallhandwerk lernt. Bayernluxus….gleich zwei Ärzte an Bord….in Berlin undenkbar.

Als ‚running gag‘ immer ein bis zwei Bienen im Fahrzeug, der junge Arzt ist allergisch.
Die straffe Anspannung löst sich langsam als die Ärzte und der leitende Sanitäter vor dem Fahrzeug Bestandsaufnahme machen und das weitere Vorgehen beraten.

Mega Bürokratie an Formularen und Zeugs. Name der leitenden Notärztin? ‚Notarzt – Süd‘….Du glaubst Doch nicht, daß ich da meinen Namen angebe. Die sollen erst mal schauen, wer Dienst hatte wenn sich jemand beschwert…‘. SO – Genau so. Fühle mich aufgehoben bei Menschen!

Nach Beschlusslage führt der Weg mit moderatem Blaulicht ins ca. 30 Kilometer entfernte Neuburg an der Donau, da in Ingolstadt alle internistischen Kapazitäten abgemeldet sind und keine akute Lebensgefahr, die zur ‚Zwangsbelegung‘ berechtigt hätte vorliegt.

Der Weg ohne Notarzt, da mein Gesamtzustand eingedenk der verabreichten Medikamente, Infusion etc. als ‚stabil genug‘ beurteilt wird. Trotzdem steht die nächste Einsatztruppe zu fünft auf Position im Schockraum 1 des St. Elisabeth Klinikums in Neuburg. Ungebremster Einritt mit der Anmerkung, wir sind er ‚E xxx‘ (nicht gemerkt) aus Ingolstadt und schon öffnen sich die Automatiktüren in die Retterei.

Hier nach erfolgter ‚strukturierter Patientenübernahme‘ das Vollprogramm zum Dritten. Alle Fragen noch einmal, alle Kabel noch einmal, ein zweiter Zugangein Medikament gegen die andauernde Übelkeit. Die leitende Oberärztin, ein wunderbar freundliches und ebenso bestimmendes Wesen osteuropäischer Provinienz nimmt sich den erstmöglichen Moment um mich über ihre Sicht der Dinge aufzuklären.

Ich sehe die Monitore mit meine Vitaldaten, höre das ständige Piepen in verschiedensten Tonlagen und Rhythmen spüre die Menschen, die sich konzentriert arbeitend um mich herum bewegen und höre Ihrer Einschätzung.
Mein Kreislauf kommt nicht so in Gang, wie er sollte, die Sauerstoffsättigung des Blutes lässt sehr zu wünschen übrig und die Ursache nach wie vor unklar.

Um eine innere Kopfverletzung auszuschließen ordnet sie ein CT an und zum Lunge röntgen soll ich auch auf jeden Fall. Die beständige Frage nach Luftnot, Beklemmungen im Brustkorb, Atemschwierigkeiten erklärt sich daher. In der Lunge wird zu wenig Sauerstoff ins Blut angereichert obwohl ich inzwischen an deinem Schlauch hänge, der mir diesen in Reinform direkt in die Nase bläst.

Ultraschall vom Herzen wird auch gemacht und später noch diverse Tests. Ich müsse auf jeden Fall bis morgen bleiben, ggf. auch das Wochenende weil sie gerne ein Langzeit EKG hätte. Die Bewusstlosigkeit im Zug war einfach zu lang, man sollte genau nachschauen.

Formalitäten, Überwachung und ca. 15 Minuten später kommt ein freundlicher Mensch mit Rollstuhl und macht das Geschläuch an mir nebst Sauerstofflasche und Infusion transportfähig.
Assistiert von zwei Pflegemenschen darf ich mich aufrichten und auf den Rand setzen. Erster Bodenkontakt seit ich auf dem Bahnsteig auf die Liege gepackt wurde.
Sitzen ist ok, stehen eher noch  hui aber die CT Untersuchung passiert im Liegen. Rollstuhl, Gänge und erstmals das Gefühl wie Strange das alles ist. Erste Wahrnehmungen nach völliger Konzentration auf das Wesentliche.

Auf der Liege im Untersuchungsraum kommt es dann mit voller Wucht.
Mein Vater ist so gestorben.

Das Piepen. Die Monitore, Maschinen das Ganze Szenario. Er hat es nicht mitbekommen. Er hat nicht auf dem Rand der Liege oder im Rollstuhl gesessen. Er hat nach dem Cut das Bewusstsein nicht wieder erlangt. Trotzdem hatte er das selbe Programm, noch einmal in verschärft, weil Ohne Bewusstsein und mit akuter Gehirnblutung, vermutlich durch ein Aneurysma.

Ein CT natürlich auch und schnell. Ich habe später die Bilder gesehen, die Schnitte und der Neurologe hat mit erklärt, was passiert ist und welche Konsequenzen das hat, während drinnen die Maschinen einen Körper am Leben erhielten, dessen grundlegendste Steuerungsmechanismen unwiderruflich Zerstört waren.

Das war Tage später als wir aus den USA zurück waren und es hat mir damals die Gelegenheit gegeben mich zu verabschieden. Nicht mehr, nicht weniger.

Ich bin hier, das kreisrunde Teil über und um meinen rein kalibrierten Kopf, krasser Sound. Ansonsten alles recht schnell und untragisch.

Lunge röntgen schon anstrengender, vor Allem durch das Stehen.

Rollstuhl, retour, Neuverkabelung, Monitore, Piepen, Sauerstoffsättigung viel besser, mag aber noch nicht über 90% bleiben und sackt gelegentlich noch durch.

Ich bin da und begrüße freudig ein Gefühl der Stabilität, das ich so vorher nicht hatte. Vermutlich auch getrieben, vom jetzt alltäglich entspannten Umgang um mich herum. Ich bin da. Ich werde überwacht, aber ich bin nicht mehr der Mittelpunkt. Beruhigend.

Verlegung samt Zubehör aus dem Schockraum in ein anderes Geviert, Stecker, Monitore, Liege aber nicht mehr der ganze Notfallausstattungskram, sondern ein Schreibtisch, Rechner, Monitor, Drucker.
Auf der Anderen Seite, Verbandszeug, und der ganze andere Kram in Plastikschublädchen sortiert. Medizinbaumarktregal.

Langsam wird das Liegen lang und mein Rücken beschwert sich. Dafür bleibt der Blutsauerstoff konstant über 90% was ein Piepen weniger bedeutet.

Während sie immer wieder zu neuen Notfällen raus muss tippt die grundruhige Oberärztin was in meinem Zusammenhang zu dokumentieren ist, gibt telefonisch oder hereinschauenden Köpfen Auskünfte und telefoniert mir nebenbei ein Bett für die Nacht auf der inneren Station.

Erstmaliger Gedanke ob eigentlich meinerseits jemand zu informieren sei.
Es ist nach acht und ich wäre jetzt irgendwann in Berlin im Zulauf auf meine Wohnung.
Dort wartet niemand, akut ist nix gefährlich und Martha würd‘ ich das lieber selbst erzählen. Sie und Anke sorgen sich nicht, warum sollte ich ihnen jetzt welche machen?
Bleibt in München Bescheid zu geben, dass ich wohl angekommen bin aber eben halt woanders.
Das kann warten bis ich ein Bett habe und in Ruhe telefonieren kann.

ICE 503

Der Herbsttag nach dem allerhinterletzten Sommertag, der im Gegensatz zum Tag davor, schon sehr eindeutig kein solcher mehr war zieht kurz vor Leipzig am Horizont auf. Sonne links grad‘ halb und gefühlt schnell aufgehend, hinter Windrädern, flacher Landschaft, flankiert von Waschküchenwolken rechts oben, kreuz und quer Kondensstreifen und rhythmisch vorbeigleitenden Oberleitungsmasten.

Die Nacht hinaus aus dem gestrigen Tag war bedeutend schöner, erholsamer und freudvoller als diejenige davor, in der ich keine Ruhe fand und zum Schluss drei komatöse Stunden mit klassischem Verpennen gekrönt wurden, da ich aus dem wirren Traum Nirvana in dem ich mich befand den Handywecker gekilled  hatte und auch die Tochter, die eine der seltener werdenden Nächte im ‚Papabett‘ verbringen durfte, ohne Zuckung blieb.


Heute jedoch Wecker um halbfünf, Aufbruch um viertel sechs, ICE um habsieben, gefühlt wie Messer durch weiche Butter.
Wach und focussiert, durch die Stadt gleitend den Morgen und Seine Menschen nur sehen. Abgeschirmt sein unter sanfter Stimme in meinem Ohr und der Gewissheit ‚auf dem Weg‘ zu sein. Das vertraute Gefühl des Rollkoffers in der einen und des Instruments in der anderen Hand. Allein unterwegs war ich in den letzten Jahren nur noch zu seltenen Dienstreisen. Jetzt ist wieder Rock’n Roll und das blanke, pralle, nicht immer gnädige aber doch von unschätzbarer Schönheit und seinen unendlichen Möglichkeiten getragene Leben hält seit dem Sommer langsam wieder Einzug.

Diese Freiheit ist mir nicht teilbar. Sie ist, ganz früh entdeckt, integraler Bestandteil meines Seins und wird benötigt um äußere Pfade mit inneren zu verbinden, Raum zu schaffen in dem Abstand das Gebot ist um aus der veränderten Perspektive die Dinge besser zu sehen und sortieren zu können. Wals nicht sehen sonst, wegen Bäumen und so….Dafür muss ich allein sein.

Die Bewegung und das ‚sich Entfernen‘ sind so elementar, wie das ‚zurückkehren‘ des inneren Leuchtmittels in die gewohnte Fassung. Das funktioniert auch in kleinen, alltäglichen Formaten, ist aber beim richtigen Reisen in räumliche und zeitliche Distanzen bedeutend effizienter, weil größer, ausgeprägter und umfassender.

Dabei spielt der Zweck der Reise zunächst keine Rolle und auch das Verkehrsmittel ist egal. Ob im Zug oder selbstfahrend mit dem Auto, wo die Routine und Erfahrung von tatsächlich Millionen Kilometern, einen verlässlichen Automatikmodus kreiert, der verlässlich genug Kapazität für ausgeprägte Bewegungen in Innenwelten verfügbar hält.

Die Richtung dieser Ausflüge ins Denken ist steuerbar durch Trigger. Bestimmte Landschaften, bestimmte Musik, solche Sachen. Zu meiner implodierten Herkunftsfamilie komme ich zum Beispiel umstandslos indem ich als Proviant das Folgende inszeniere:

Kastenweißbrotsandwiches mit gekochtem Schinken, Käse, Salatblatt und Tomate, die zuverlässig das Weißbrot durchsuppt, wahlweise ersetzbar durch Scheiben vom hartgekochten Ei, beides zusammen war Tabu.
Das gehörte von der Hand meiner Mutter hergestellt zu jeder Urlaubs-Autofahrt mit ‚Oskar‘, dem weißen Peugeot 404 mit durchgängiger Sitzbank vorne und Lenkradschaltung. Kein ordentlicher französischer Film aus den Siebzigern kommt ohne dieses Fahrzeug aus und auch lediglich der Anblick der Heckflossen dieser Designikone teleportiert mein Denken und meinen Empfindungsapparat unmittelbar in diesen Lebensabschnitt zurück.

Hier findet sich ein System, das beliebig nutzbar ist um komplexe Zusammenhänge zu klären und mich sowohl auf Sach- als auch auf emotionaler Ebene in die Lage zu versetzen Entscheidungen zu treffen, Einschätzungen vor zu nehmen oder mich überhaupt Dingen in Ruhe zu nähern, die es ‚umfassend‘ brauchen.

Das benötigt eine meditative Komponente, die in der Regel in der Bewegung, egal wie diese ausgeführt ist, besteht und für diese sorgt heute der ICE 503 Berlin-München.

autumn leaves

Lange nicht erlebt.
Überhaupt schon ein mal erlebt?
Der Wechsel der Jahreszeiten in EINEM MOMENT.


Ein Sommer der völlig anders verlaufen ist als geplant.
Leben ist scheitern und Scheitern ist Leben.
Es ist ein lebendiges Scheitern geworden und damit ein Sommer, der genauso das unbeschwerte, befreite, fröhliche Leben gefeiert hat wie er Wanderungen durch tiefe, verschattete Täler bereit hatte und davon nicht gerade wenige.

Aus der Schwere sind Linien, Gedanken, Entscheidungen und Musik gewachsen, was sie nicht leichter gemacht hat, aber erträglicher.
Trauern, Be- und Verarbeiten ist weit vor dem ’nach vorne orientieren‘, (zurück) zu sich selbst kommen der schwierigste Part, weil er oft mit Gemütszuständen einher geht, die als unaushaltbar empfunden werden.
Diese liegen in jedem signifikanten Abschied, der ja auch laut dem kürzlich verstorbenen Roger Whittaker ‚ein scharfes Schwert‘ ist, was als Metapher so treffend war, dass der ursprüngliche Schlagertitel zum Gemeinplatz werden konnte.
Dass dabei gelegentlich ‚Blut fließt‘ ist leider in der Regel nicht zu Vermeiden, letztendlich hin zu nehmen, zumal es die Notwendigkeit von Reinigungs- und Restaurierungsarbeiten befördert.

So verhält es sich auch mit dem Abschied vom Sommer. Meist geht er schleichend über den September hinweg und kulminiert in einem signifikanten Temperaturunterschied Richtung Ende des Monats, der immer noch die Entscheidung offen lässt ob es nun ein goldener oder eben ein trüber Herbst wird.
Die frühe Dunkelheit tut ihr Übriges und der Aufenthalt im Freien wird nach Sonnenuntergang ungemütlicher und damit unwahrscheinlicher. Rückzüge, die auch auf den Balkon noch im Freien möglich waren verlagern sich, aller bereitliegender Decken zum Trotz, nach innen, was auch im übertragenen Sinne ‚Einkehr‘ bedeutet.

Nicht so in diesem Jahr!

Dem (gefühlt) üblichen Ablauf entgegen bildeten in diesem Jahr ewig viele letzte und hinterletzte Sommertage die Basis für das Gros der dunkelnden Septemberabende, die dann in großer Zahl auch noch warme, laue Nächte wurden.
Die Stadt nach den Ferien gut gefüllt, fühlt sich in Teilen südlich an und lässt einen nicht versiegen wollenden Strom an Lebenslust über ihren Menschen aus.
Sonnenuntergänge, Fahrtwind, Spätisessions und Parkgelage, Bodensitzen, Spätschwimmen und Früh Heimkehren, alle Sommerattribute lebten sich über den Monat mehr oder weniger ungebremst weiter.

All, die sich auf spätsommerlichen Sehnsuchtsbögen an die See oder in irgendwelche Büsche geschlagen haben wurden vom Septembersommer ebenso beschenkt, wie einem per Social Media täglich vor Augen geführt wurde und was mich oft genug wehmütig in die Tage im Kanu und die Nächte am See zurück katapultiert hat.
Die Ruhe, die Natur zu geben in der Lage ist erreicht man in der Stadt nur schwer und es braucht (zumindest bei mir) auch immer eine Zeit, bis ich angekommen bin in dieser Ruhe. Die Bewegung ist oft genug das ‚meditative Element‘. Schnelles Hopping zwischen diesen Dimensionen ist ungut.
Dann lieber die Radkilometer durch die Sommernachtstadt und die Felder davor, wo sich in Verbindung mit entsprechendem Soundtrack ein ähnlicher Zustand erreichen lässt.

Und dann stürzt er ab. Vom einen Moment auf den anderen.
Gestern noch neben dem Arbeitsweg zweimal ausgedehnt Rad bis in den späteren Abend. Auch die halbe Stunde ‚frei Strampeln‘ am Morgen wie gehabt. Dann Arbeit, trotz Feiertag. Dinge müssen getan werden. Im sprichwörtlichen Abarbeiten verfängt gerade ein schon tagelang aufgeschobener Fragebogen, der deutlich grundsätzliches und persönliches beinhaltet, weshalb es auch Zeit und Nachdenken brauchte mich daran zu setzen.

Mitten ins konzentrierte Beschreiben innerer Beweggründe, Erwartungshorizonte und gemachter Erfahrungen, was ohnehin nicht die freudigste Sache der Welt darstellt, verfinstert sich am frühen Nachmittag der Himmel innert von Minuten so weit, dass es sofort Kunstlicht in der Wohnung braucht, die Temperatur fällt ebenso rasant, was mich ad hoc zu Pullover und Socken nötigt. Hand in der Sockenschublade nehme ich das monsunartige Geräusch durch die immer noch sperrangelweit geöffneten Fenster wahr.

Gut dem nicht hinterher zu kippen, an dieser Stelle nicht, das sofort auch olfaktorisch wahrnehmbare, Ende dieses großen Sommers zu betrauern und darüber in Gemütszustände abzugleiten, die dem Leben, wie es sich an diesem Übergang darstellt alles andere als gerecht werden würden.
Inne zu halten und dem Raum zu geben, nach zu spüren was ad hoc verloren ist war gut.
Vielleicht war es sogar hilfreich, dass der Moment, der ja im Raume stand und auf den sich Kalender und Uhr ungebremst immer weiter zubewegt haben, doch so plötzlich und mit einem dunklen, kalten, nassen Schwung herübergefegt kam. Da ist jegliches Lamentieren unangebracht. Wir waren schon lang in der Nachspielzeit.

critical_mass berlin 29.09.2023

Der Sommer schenkt uns einen weiteren lauen Abend, Banane, Ayran, Wasser und ein Graipefruitradler alkoholfrei (für hinten raus) sind an Bord und die Anfahrt zum Mariannenplatz führt die gewohnten Alltagsstrecken lang durch eine Stadt im Aufbruch.
Der Spätsommer ist in die Phase eingetreten, wo es um acht dunkel und trotzdem noch absolut warm genug für Kurzes ist und jeder dieser Abende der letzte sein könnte. Gefühlt sind ALLE unterwegs und es riecht an jeder Ecke nach Party.

Spät füllt sich der Platz aber er füllt sich und um 20:15 Uhr geht es los mit Bike, Bass und B*****. Blaulicht am Mariannenplatz lässt mich immer an die Scherben denken und da werd‘ ich schnell sentimental.

Downbeat begleitet rollt der Pulk smart mit ein paar Haken und ein paar roten Ampeln zum Potsdamer Platz. Alles so schön bunt hier und unter den schicken Momenten ganz viele mehr als nur ein Rücken beim Ampelwarten. Stimmung kollegial fröhlich und von Außen bis hierher quasi nur Zuspruch, was wohl auch an der treibend feinen Soundmaschine, der ich konsequent nahe bleibe, liegt und daran, dass wir ziemlich vorne, nah an der Spitze fahren wo Querverkehr aller Art noch keine drei Ampelphasen herumgestanden hat. Bis hierher beschränken sich Unmutsäußerungen auf vereinzeltes Gehupe und Gebrülle von entgegenkommenden verblendeten Verbrennerpiloten, die aus der Gruppe fröhlich beklingelt werden.

Neben mir eine Dreadlock Mama mit ca. 10 jähriger Tochter, die sichtlich Spaß hat. Dieser vergrößert sich noch als ein Junge am Straßenrand auf eine Bauabsperrung trifft, weil er so fasziniert von seinem Weg weg und dem radelnden Pulk zuschaut, dass er ungebremst hineinläuft. Weiches Plastik immerhin aber das Geräusch des Aufpralls ist beträchtlich.
Trotzdem müssen wir lachen und es ergibt sich für eine Weile ein freundliches Gespräch zum Berlin radeln mit Kindern Thema.

Der Weg führt in einer Art Zickzack raus bis zur Konstanzer Straße und zum Fehrbelliner Platz. Inzwischen wird schon lang gar nicht mehr gestanden, die Begleitmotorräder der Polizei sperren den Querverkehr an den großen Kreuzungen und treten allzu ungeduldigen Verbrennerpiloten mit sachlicher Autorität entgegen, allerdings wird inzwischen an den kleinen Seitenstraßen, die von mitfahrenden Teilnehmern gesichert werden, der Diskurs schon mal hitziger.

Kreuz und quer zurück durch den Westen und dann großer Stern. Ungezählte Runden, da sich wohl hinten eine Spaltung des Pulks ergeben hatte, der hier wieder zusammenfindet.
Siegessäulenkarusellparty, bestimmt 10-15 Minuten lang.

Um die Else duftet es nun an den ebenfalls rauchpausenden Polizisten vorbei merklich nach Weed, was angenehmerweise, berlintypisch einfach niemanden weiter beschäftigt. Iss halt so. Folklore.
Dann Hofjägerallee raus Richtung Zoo.

Inzwischen ist es zehn Uhr und es folgen zwei weitere Stunden annähernd meditativer Ritt durch’s Freitagabendberlin. Kuhdamm rauf und runter, einige Runden Ernst Reuter Platz bis sich der, inzwischen gut auseinandergezogene Pulk wieder zusammengefahren hat um sich danach via Brandenburger Tor, Alex, Frankfurter Tor, Warschauer, Mühlenstraße über die Jannowitzbrücke, Heinrich Heine Str. (die Schlange vor’m KitKat…grossartig!) wieder zu einer weiteren Runde über Kreuzkölln zu ergießen.

Im Laufe dieser zweiten Tourhälfte wird es immer notwendiger ungeduldige Automobilisten in die Schranken der StVO zu verweisen, damit sie nicht in den Pulk fahren, an Kreuzungen (un)geduldig den Radfahrenden die Vorfahrt gewähren und sich auch sonst mit zunehmend Feindseeligem zurück halten. Ich habe das Gefühl, dass die Stimmung seitens der Autofahrer auch dem falsch verstandenen Verteilungskampf um den Stadt- und Straßenraum geschuldet ist, seitdem er in der Stadt auch politisch wieder zugunsten des motorisierten Individualverkehrs betrieben wird. Die CDU Propaganda für eine Verkehrspolitik aus dem Mittelalter verfängt leider bei allzu vielen.

Es ist deutlich nach elf als die begleitenden Cop’s nach mehreren Voransagen die Musik (leider) endgültig stoppen. Immerhin ist die Ansprache freundlich und der Hinweis auf mehr als eine Stunde Kulanz, die Ihrerseits auf der Waage liegt verfängt bei den Soundsystembetreibern, was aus dem Pulk mit kollektivem Ooooooooohhhhh kommentiert aber ansonsten klaglos akzeptiert wird.
Ich spare mir die Ohrstöpsel, bedanke mich beim Mischmeister meiner Wahl, der die letzten 3 Stunden wirklich exzellente Beats geliefert hat und rolle, die Stille genießend die letzte halbe Stunde mit leichten Beinen mit zurück zum Mariannenplatz, wo ein Rest von vielleicht 200 Leuten ziemlich genau gegen Mitternacht aufschlägt.

Im Anschluss gibt’s die Belohnungsplörre aus Lübz und einen gemeinsamen Rauch mit einem anderen Einzelradler. Wir sind uns einig, dass das ein sehr runder, gelungener CM Abend war, der sollte ihm den diese Rolle zufallen als absolut würdiger Abschied von den Sommer CM’s 2023 durchgeht. Es sei denn am 27.10. gibt es noch mal einen allerhinterletzten Sommertag….Wir werden sehen.

Ich rolle noch rüber zum Schlesi, nehme einen Tee bei Salut und haue Touristen-like drei Euro für obskure Photaoautomaten-Schwarzweissbilder raus um dann fröhlich und beschwingt im leichten Sprühregen und mit beträchtlichem Gegen bzw. Seitenwind (Warschauer nach dem Windschatten vom neuen Hochhaus….AAAAALTER!) nach Nordosten zu Pedalen, wo mich meine Küche dann gegen halb zwei wieder hat.
Fazit: Gelungener Abend mit Spass- und Fittnessfaktor.

good morning palz-zen

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Wie die Sonne durch die Blätter, erreicht das starke, fokussierte Licht der Wahrhaftigkeit immer irgendwo doch noch den Boden der Erkenntnis, selbst wenn so einiges lichthindernd im Weg hängt.

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Wo Schatten ist findet sich auch immer Licht, da das Eine ohne das Andere nicht existieren kann.
So haben dann auch die meisten Wege eine helle, erleuchtete Seite und eine dunklere, schattige.
Ein ausschliesslich ‚leuchtender‘ Pfad sollte genauso viel Misstrauen erregen, wie ein im Wesenskern ‚düsterer‘ Weg.

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Ab und an kommt es vor, dass Wege sich gabeln und es Richtungsentscheidungen braucht.

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Licht und Schatten.
Bergauf oder bergab.
Schmal oder breit.
Links oder rechts.

Wie auch immer man entscheidet:
Man sieht nur bis zur nächsten Biegung.

das wesen der enttäuschung

Wie jedes mal, wenn es im Leben zu wirklich einschneidenden Veränderungen kommt macht es sehr viel Sinn sich den Raum und die Zeit zu nehmen genau hin zu schauen.
Das ist mitunter schmerzlich und manchmal auch desillusionierend. Wie das Wort schon sagt muss ja der Enttäuschung offenbar irgendeine Art der Täuschung vorausgegangen sein. Die muss nicht zwingend zentral bei ‚den Anderen‘ aufgehängt sein. Man täuscht sich auch gern schon mal selbst, wenn es einem daran gelegen ist Dinge auf eine ganz bestimmte (die gewünschte) Art und Weise zu sehen und zu interpretieren.
Das ‚genaue Hinschauen‘ hilft in erster Linie genau diese Aspekte zu finden, zu erkennen und herauszufinden, wie es im weiteren Verlauf gelingen kann die Art Selbst-Täuschung zu vermeiden.
Dazu braucht es eine Menge Mut, da der Umgang mit den eigenen Defiziten sehr viel schwieriger ist als der Umgang mit den Defiziten Anderer. Gleichzeitig ist die öffnende Wirkung und der heilende Effekt des ‚vor sich selbst zurück Tretens‘ und des wahrhaftigen hin Schauens immens.
Es braucht den Mut Dinge zu bedauern, zu betrauern und Abschied zu nehmen, von eben jenen (geliebten und gepflegten) Vorstellungen, die oft nur dazu da sind Widersprüche zu kaschieren oder offensichtliche Sollbruchstellen ignorieren zu können.
Dafür etwas nicht anzugehen gibt es immer genug Gründe.
Das es so oft den Zwang der eruptiven, nicht aufzuhaltenden, dynamischen Entwicklung braucht um in die Position zu kommen, eben diese ungeschönte Wahrhaftigkeit zu- und an sich heran lassen zu können, sagt viel über die Struktur der allzu menschlichen Mechanismen aus, die dazu führen, dass Mensch sich immer wieder in der Art selbst hinter’s Licht führt um den unangenehmen, ja mitunter sogar bedrohlich wirkenden Wahrheiten zu entgehen.

Alle Dinge werfen einen Schatten, wenn sie im Licht stehen und je nach Veränderung der Lichtverhältnisse fällt auch der Schatten anders, wird im Verhältnis zum Gegenstand selbst möglicherweise auch größer als er vorher erschien.
Sich dem auszusetzen, auch diese (unbequemen) Wahrheiten zulassen zu können und das damit oft einhergehende Leiden aus zu halten bringt im Gegenzug ein Maß an Wahrhaftigkeit mit sich das mir auf lange Sicht sehr viel gesünder erscheint als einem Konstrukt zu folgen, welchen auf Selbsttäuschung, Mutlosigkeit und Angst basiert.

gehe zurück auf los…

Was bedeutet es, wenn es mich raus kegelt wie im Brettspiel und die nächste Runde von Vorne gedreht werden muss?
Auf jeden Fall Mensch ärgere Dich nicht!
Deshalb heißt das Spiel ja so.

Was im Spiel gilt, sollte natürlich auch im Leben gelten, nur ist im Einen wie im Anderen die Fähigkeit dazu, je nach Temperament des Probanden, mehr oder weniger ausgeprägt.
Im Spiel wie im Leben gibt es die unterschiedlichsten Handlungsmuster, Strategien und eben auch Emotionen, die gewürzt durch die Interaktion mit Anderen Menschen zu einem dynamischen gemeinsamen Abschreiten eines ‚Parcours‘ wird. Im Spiel immer mit dem Ziel Erster, Bester, Schnellster, Größter oder strategisch Klügster zu sein.
Aber wie verhält sich das im Leben?

Was sind die Ziele derer die mit mir, um ich oder gegen mich sind und mit welchen Strategien verfolgen sie diese? Welche Dynamiken ergeben sich daraus in der Interaktion, wie viel davon ist durch Planung, Berechnung, Strategie, Anwendung von Wissen, empirisch oder sonst wie hinterlegt? Und: Was ist es, was im ‚richtigen Leben‘ die dynamische Spielkomponente des im Würfel manifestierten Kapitäns Zufall?

Es ist vorteilhaft den Raum und die Zeit zu haben sich in Situationen, in denen man rausgekegelt wurde ausgiebig mit diesen Prinzipien zu beschäftigen und der Frage nach zu gehen, wie dann am besten weiter zu gehen ist, wenn das Häuschen wieder verlassen werden darf, damit das erneute Besetzen des Startpunkts als Privileg und nicht als Bürde begriffen werden kann.

Dahin gibt es, wenn man sich denn die Reise gönnt, unterschiedliche Wege, die sich im Prinzip unterschiedlichen Effizienzmodellen zuordnen lassen, bestimmt durch die emotionale Struktur des Probanden. Diese sind so unterschiedlich, wie die Menschen selbst.
Daneben gibt es noch die Möglichkeit un- oder über-reflektiert wieder an den Start zu gehen um, welchem Zwang auch immer folgend, los zu stürzen und sein Konstrukt in die nächste Runde zu tragen.

Letzteres erlebe ich als die traurigste Variante, weil sie meiner Erfahrung nach ein sicherer Hinweis darauf ist, dass Menschen nicht ‚echt‘ sind, sondern ein, aus welchen Zwängen und Motiven auch immer, konstruiertes, komplexes Konstrukt abfeiern, das sie Geschaffen haben um an irgendeine Stelle ihres Selbst nicht hinschauen oder diese gar Berühren zu müssen.

Vor diesem Erfahrungshorizont sortiert sich meine Welt gerade zurück in eine überschaubare, verlässliche Dimension die ohne doppelte Böden auskommt und von den Mitspielern geprägt wird, die authentisch für sich stehen und wahrhaftig mit mir sind und eben nicht nur um mich, konkurrierend vor mir oder profitiabel mit mir sein wollen. Nur diese haben aus meiner Sicht begriffen worum es letztendlich geht.

Wir wollen lachen, hell und klar
unsre Tränen nicht verbergen
woll’n weder glänzen noch viel werben
doch am Ende wenn wir sterben
woll’n wir uns wissend dann
zum Abschied grüßen


Auf das der Weg,
wenn auch geschwungen
auch wenn vieles nicht gelungen
doch gefeiert und besungen
und bis zum seinem Ende
WIR und dann ganz WIR geworden sind

(Autor mir leider nicht bekannt)