salut 18924

Die Uhr gegenüber am U-BHF zeigt schon seit geraumer Zeit fünf nach vier.
Es wäre Zeit da mal servicemäßig einzugreifen aber der gelbe Herzchen Betrieb hat derzeit abartige Probleme im oben verlaufenden Kerngeschäft und insofern nachvollziehbar andere Prioritäten.

Salut

Es ist Mittwoch und uns wird ein Spätsommer der ganz feinen Sorte gegönnt. Vierundzwanzig Grad und Vollsonne, wie dieser Tage Vollmond war. Es macht ein abartig schönes Licht und es ist ein Genuss ohne Druck die Notwendigkeiten des Tages mit dem Rad zu erledigen.

Da zum siebzehn Uhr Termin nur eine halbe Stunde Pedal zu veranschlagen ist bleibt Zeit für ein kleines Gedeck bei Salut. Schwarztee, süß und mit Milch, dazu eines dieser unfassbar lecker, furztrockenen Nusshörnchen, die im Zusammenspiel mit dem Tee im Abgang genau die richtige Konsistenz erreichen und etwas für zuhause. Zwei dieser unfassbaren Mandelhörnchen.

Dankbar um die Flexibilität des Arbeitstages, die mich diese Pracht so komfortabel nutzen lässt, hab‘ ich an diesem Nachmittag alles an der Schippe was an Verpflichtungen zu erledigen ist und dafür Wege innert der Stadt braucht.

Diese führen über X-Berg, was ich billigend in Kauf nehme und nach längerem Meiden dieses Spreeufers mit der Mußestunde hier entschärfe. Der Lampenmann wartet um fünf und es ist halt nur eine halbe Stunde Weg.

Unter anderem liebe ich diesen Ort so sehr, weil hier 24/7 Leben stattfindet. Um diese Zeit jetzt, am Nachmittag um diese Jahreszeit ist der Schatten vor der Bäckerei nicht ganz so notwendig wie im Hochsommer und der bunte Strom der Passanten irgendwie entspannter als unlängst bei über dreißig Grad. Zu Fuß, auf’m Rad oder hupend im Auto.

Sprichwörtlich jede Sorte Mensch kommt hier vorbei. Die Menschen so unterschiedlich wie die Fahrräder, die Helme oder die zur Schau getragenen Tätowierungen der sommerlich leicht bekleideten Stadtindianer*innen. Mit jedem Jahr mehr Haut, so zumindest mein Eindruck.

Das beruhigende fünf nach vier auf der Uhr gegenüber hat mich jetzt doch, es ist bereits kurz vor halb fünf und ich muss mich sputen.

Bis zur Danziger, rauf mit Musik im Ohr, gleichmäßiger Tritt und grüne Welle, über’s Frankfurter Tor, hinauf und am Bersarin Platz genauso gleichmäßig selbstverständlich rechts an den vor der Roten Ampel stehenden Radlern vorbei über’n Fußweg, wie man das im Flow halt so macht bei strahlendem Sonnenschein in Eile. Die Stelle ist bekannt und der Fußweg breit genug für mich und die bei grün anlandenden Fußgängern, hinter mir eine Radlerin, welche das Manöver exakt kopiert.

Ausgang Revaler schert dann der Streifenwagen quer vor uns mit Blaulicht ein uns zu stoppen.

Die Szene en Detail zu beschreiben ist mir zu schmerzhaft, vor allem ob der verbrannten mindestens 120€, welche der jungen Frau, die sich als Bulgarin erweist, deren Wohnsitz trotz Ausweis wohl etwas komplizierter zu klären ist, vermutlich nochmal schmerzhafter sind als mir. Immerhin ist es gelungen von den Beamten unbemerkt die Pods aus den Ohren in die Hosentasche zu transferieren.

Ich versuche den Gram möglichst klein zu halten, was halbwegs gelingt, zumal die Ermahnung des deutlich, sachlich, freundlichen Beamten völlig berechtigt und angebracht ist, was mir natürlich auch klar ist.

Ohne Pods geht’s weiter via Lampentermin zum See, wo ich mich in die bergende Nussschale der ZKB zurückziehe, und versuche dem Tag eine 50/50 Regelung ab zu gewinnen indem ich dies zu Ende schreibe.

Den Rest des Tages rettet die Tochter mit Ihrem Charme und der Freude über ein gemeinsam genommenes Wunsch Abendessen in Form von Flammkuchenzeugs als Vorspeise, sowie Kartoffeln mit Kräuterquark und Kohlrabi Gemüse hernach.

Kochen trägt erfahrungsgemäß positiv zur Beruhigung jeglichen Grams bei. Ein Umstand, der lange nicht unwesentlich zur Eskalation meines Körpergewichtes beigetragen hatte. Inzwischen hat sich das normalisiert und die Versuchung eines Nachtischs sind, in Form der Mandelhörnchen, durch den eiligen Aufbruch vergessen, bei Salut auf der Bank geblieben. Wer auch immer sie auf die Hüfte bekommen hat. Sie werden geschmeckt haben.

oberbaum

Das mit dem nachts aufwachen hat sich leider verstetigt. Früher bin ich Nachtens raus aufs Klo und nicht mal richtig aufgewacht dabei. Heuer lieg ich öfter wie nachts im kalten Zelt, wenn’s auf’m Platz nicht der nächste Baum sein darf, sondern abscheulich klammkalte 84 Meter zu gehen sind zur Keramik und ich denke ‚schon wieder‘?

Weit über das alte Männer Ding raus sind es die derben Wellen die das Leben im letzten Jahr geschlagen hat und die ungeklärten Threads im Desaster, die präsent sind nach wie vor, auch wenn das Leben natürlich weiter gegangen und es mir gelungen ist nachhaltig Sonnenschein zu etablieren.

Sie manifestieren sich in Gedankenschleifen immer gleicher Fragen, im Wissen das diese, auch unbeantwortet, kleiner werden am sich weitenden Horizont und nunmehr nur noch der Faktor Zeit dafür sorge tragen kann, dass eben dieses auch noch aufhört…irgendwann.

Für beides habe ich entsprechend verschiedene Strategien entwickelt, mit denen ich mich dem Problem nähere.

Beschränkt auf den nächtlichen Harndrang ist das einfach. Nicht, wie eben im kalten Zelt, lang fackeln, weil das Heil im Badezimmer wartet und der geheizte Weg dahin kaum drei Meter sind. ReinRaufRunterRaus wie beim PIT-Stop, dabei die Schluppen NIE vergessend, weil einmal mit gespreizten Zehen um und zwischen den schmalen Fuß vom Bad Regal…unvergesslich, schreit nach Wiederholungsvermeidung.

Der Drang, wenn sich der Schlaf nach Unterbrechung nicht von selbst wieder einstellt, in Gedankenschleifen nicht nur hängen zu bleiben, sondern mich hinein zu legen wie in ein lauwarmes Bad, knapp an der Grenze zum ‚zu kalt‘, doch klar und semi-angenehm im Spüren. Der Hang dazu dann Erinnerungen, Fantasien und Emotionen zu einem unguten Brei zu rühren der, wenn darüber doch der Schlaf wieder kommt, zumeist in übelste Gefilde meiner Seele führt, was i.d.R. irgendwann durch erneutes Erwachen die nächste Runde einläutet. Diesem Drang ist bedeutend schwerer zu begegnen.

Unlängst hab‘ ich mich vor Aufkommen des Sturms dahingehend diszipliniert, dass ich das ‚glockenhellwach‘ registriert und sofort in die Küche geschleppt habe, statt es im Bett zu wendeln. Kaffee war nicht nötig und auch die Uhr ließ Spielraum für erneuten Schlaf nach Intermezzo. Offenes Gelände also.

Strategie:
Maltasche raus!
Aquarell.

Hürde:
Kein Motiv.

Das Erste, was mir aus Traumresten entgegen fiel war der Blick von der Westseite der Oberbaumbrücke Richtung Kreuzberg, Mit Kathrin war ich dort vor Jahren dort zum X-Jazz Festival.

6.5.2017 Natalia Mateo @ x-jazz im fluxbau

Nathalia Mateo, die ich in Achims 2RaumWohnung erstmals gesehen, sofort verehrt und in den darauf folgenden Jahren bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit gehört habe. Ihre Version von ‚windmills of my mind‘ bewegt und beflügelt mich bis heute jedes mal.

Natalia Mateo am 4.7.2015 @seppmaiers2raumwohnung

Wir hatten uns vorher bei Salut getroffen. Tee und Teilchen. Das Konzert war sehr Jazz und für Kathrin eher ‚ein Versuch‘, der Abend insgesamt stimmig und schön. Der Blick auf dem Rückweg, wie sich die Lichter des Ladens im Wasser der Spree spiegeln und sich der rote Ballon, der sich in der Mitte an hoher Stange (wodurch eigentlich verursacht?) immer in veränderter Position zeigt. Zeit? Wetter? Laden auf/zu? Keine Ahnung, bis heute nicht. Auch etwas, was mich schon ewig interessiert, was ich aber nie versucht habe herauszufinden. Der Blick zurück fühlt sich gut an.

Ich diszipliniere mich ein weiteres Mal und nehme das Handy nicht in die Hand, versuche es aus dem Bild in meinem Kopf und erziele, ungeübt wie ich mit dieser Technik noch bin und eingedenk der Tatsache, dass ich eh weder Zeichnen noch malen kann, was mich nicht davon abhält es mit stetig wachsender Begeisterung zu tun, ein Ergebnis.

Muss trocknen.

Ich kann danach noch 2 Stunden ruhig und erholsam schlafen, ehe der Wecker um sechs Uhr klingelt.

Nach dem Aufstehen mache ich den Bildabgleich mit dem ikonischen Foto der Oberbaum-Perspektive. Das Bild, indem Elmo ebenso wie in dem Panoramabild vom See und dem Strandbad, analog zu mir sofort in der Spiegelung der Peaks und der Form die gesamte ‚wave-Struktur‘ der Sounddatei erkannt hat, ist klar und konturiert, der rote Ballon zentriert es nur zusätzlich. Ein Detail.

Dennoch steht er im Mittelpunkt und der Rest sind Farben und Konturen, das Bauwerk, das Licht die Spiegelung im Wasser verneigen sich quasi vor dem runden Ding in lipstick-red. Die Farbe meiner Küche, by the way….aus Gründen wohl springt mich das Teil so an. No Mirror but ball. Und eben DIESES Rot.

Nach dem früh beendeten Bürotag gehe ich dann folgerichtig auch hin. Der Reiz, den es ausübt bei Salut in der Vorfrühling schreienden Nachmittagssonne Tee zu trinken und wenn’s denn passt ein paar Gedanken nieder zu legen ist nicht der einzige Treiber. Ich will hinüber gehen über die Brücke, vorher hinter der East Side Gallery am Ufer entlang und es mir anschauen. Verschiedene Perspektiven dazu einnehmen und herausfinden, warum es mitten in der Nacht mit mir sprechen wollte. Ich möchte an dem Punkt stehen wo das Bild gemacht wurde und schauen ob irgendetwas in oder mit mir passiert, wenn ich vor Ort bin.

Die Oberbaumbrücke verbindet die Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg und ist als imposantes Bauwerk ein Wahrzeichen der Stadt. Mehr als nur angelehnt an die Architektur einer Burg in der Mark Brandenburg führt sie Straßenverkehr, Radfahrer, Fußgänger und, sozusagen im Obergeschoss, die U Bahn über die Spree. Wenn man den Gang auf der Ostseite zwischen den Bögen hinübergeht bietet sich ein Mix aus olfaktorischen Zumutungen, sozialem Elend, manchmal Musik dazwischen und zum Sonnenaufgang, wenn dann auch noch leichter Nebel über dem Fluss liegt ein paar prima Photomotive.

Der Übergang auf der Westseite hält auf dem Brückenwerk ein paar Ausbuchtungen bereit. Eine davon war der Standort für das auslösende Bild. Ein Ort an dem ich oft angehalten und einfach ein wenig geschaut oder in schlechteren Zeiten versucht hab‘ mich durch Konsum zu dämpfen, was natürlich, wie so vieles in den letzten Jahren, eher grandioser Unfug war.

Die Treptow Jahre haben mein Verhältnis zu den Brücken verändert. Da der Berliner viel im Kiez lebt sind solche Ausflüge über den Fluss nicht die Regel. Die Pendelei und das Büro am Holzmarkt haben mit das zum alltäglichen Geschäft gemacht und auch Auto war da, wieder meine sonstigen Lebensverhältnisse oft ein Thema.

Die Elsenbrücke, von der ich einst in die Spree mich hab fallen lassen (‚geh raus und sing!) kaputt und abgerissen, im Provisorium verharrend noch für Jahre.

Die Oberbaum hatte immer den Charme des Blicks auf ein sich stetig veränderndes Szenario. Zum Osten hin der Urban Spree Bereich, nach Westen der Unfug, den sie an der Gallery veranstalten. Vom Sponsored by Grossarenaumfeld will ich gar nicht anfangen. Aber genau das ist eben Berlin und auch genau das macht es aus. Gemüseschlachten und Kunstmärkte, nur noch eine Spur für Autos, abgetrennte Radwege und genug Platz für Fußgänger. Vielleicht irgendwann auch noch in der Verlängerung der M10 die Bimmel dazu, die dann gerade die Falkensteiner Runter durch‘n Görli bis Neukölln… Ja ja Berlin….iss ja gut. Nicht mit dem derzeitigen Senat. Der möchte ’ne U Bahn nach Weißensee, Magnetschwebebahn-Experimente aber vor allem immer noch Vollgas möglichst unbeschränkt für’s Blechgewitter.

Es würde genügen einmal genau hinzuschauen um fest zu stellen warum die Oberbaumbrücke ein immer entspannt wirkender Ort ist. Eben wegen der Trennung des Verkehrs und dem reduzierten Tempo, welches auf ihr herrscht. Selbst die U-Bahn scheint sich in Vorbereitung auf das Kreuzberg S zum Schlesi nicht nur gezwungen, sondern lustvoll zu verlangsamen um dann wahlweise mit Sonne im Rücken in den Tag oder aus dem Tag in den Sonnenuntergang zu rattern.

Ich hab‘ trotz der nächtlichen Kunstattacke nichts gespürt als ich dieses mal dort war und auch bei Salut gab’s entgegen der Vorsätze nur einen mittelkurzen Tee. Es hatte eine Klärung gebraucht. Die war erfolgt. Ich war weit genug gegangen dafür. No Poetry this time.

Zurück mit der U-Bahn.