Both sides now

Der Stephan sang und wir saßen auf der Empore. Martha erlebte einen sehr bewegenden Moment ihres Vaters und verstand wieder ein wenig mehr über das was ihm dieser Ursprungsort, ist und bedeutet.

Dazu kommt das Stück von Joni Mitchell, welches mich schon ein Leben lang begleitet und das ich mit jedem Jahr und jedem Verlust näher spüre. So auch die Kirche, die eben auch ein Teil dieses Aufwachsens war, wie der Ort, die Eisdiele, die Felder und Hügel, der Wald mit den Hütten, die Burg, die Schule, die Kneipe, die Turnhalle….überall Erinnerung…aus jeder Ritze.
Wehmut viel, die auch Tränen fordert, als zum Schluss noch ‚Stille Nacht‘ gesungen wird, was damals immer das Heiligabend Gottesdienst Ende eingeläutet hat. Alles dunkel, nur die beiden Weihnachtsbäume rechts und links vom Altar beleuchtet. Für die drei Minuten verliere ich mich irgendwo in dem Alter in dem Martha jetzt ist.

Demut gegenüber all dem, was dieser freundliche, besondere Ort und seine Menschen mir (mit)gegeben haben.

Ziemlich genau ein Jahr später finde ich das Video dankenswerterweise bei Kusel TV.
Ein schönes Zeitdokument.


oberbaum

Das mit dem nachts aufwachen hat sich leider verstetigt. Früher bin ich Nachtens raus aufs Klo und nicht mal richtig aufgewacht dabei. Heuer lieg ich öfter wie nachts im kalten Zelt, wenn’s auf’m Platz nicht der nächste Baum sein darf, sondern abscheulich klammkalte 84 Meter zu gehen sind zur Keramik und ich denke ‚schon wieder‘?

Weit über das alte Männer Ding raus sind es die derben Wellen die das Leben im letzten Jahr geschlagen hat und die ungeklärten Threads im Desaster, die präsent sind nach wie vor, auch wenn das Leben natürlich weiter gegangen und es mir gelungen ist nachhaltig Sonnenschein zu etablieren.

Sie manifestieren sich in Gedankenschleifen immer gleicher Fragen, im Wissen das diese, auch unbeantwortet, kleiner werden am sich weitenden Horizont und nunmehr nur noch der Faktor Zeit dafür sorge tragen kann, dass eben dieses auch noch aufhört…irgendwann.

Für beides habe ich entsprechend verschiedene Strategien entwickelt, mit denen ich mich dem Problem nähere.

Beschränkt auf den nächtlichen Harndrang ist das einfach. Nicht, wie eben im kalten Zelt, lang fackeln, weil das Heil im Badezimmer wartet und der geheizte Weg dahin kaum drei Meter sind. ReinRaufRunterRaus wie beim PIT-Stop, dabei die Schluppen NIE vergessend, weil einmal mit gespreizten Zehen um und zwischen den schmalen Fuß vom Bad Regal…unvergesslich, schreit nach Wiederholungsvermeidung.

Der Drang, wenn sich der Schlaf nach Unterbrechung nicht von selbst wieder einstellt, in Gedankenschleifen nicht nur hängen zu bleiben, sondern mich hinein zu legen wie in ein lauwarmes Bad, knapp an der Grenze zum ‚zu kalt‘, doch klar und semi-angenehm im Spüren. Der Hang dazu dann Erinnerungen, Fantasien und Emotionen zu einem unguten Brei zu rühren der, wenn darüber doch der Schlaf wieder kommt, zumeist in übelste Gefilde meiner Seele führt, was i.d.R. irgendwann durch erneutes Erwachen die nächste Runde einläutet. Diesem Drang ist bedeutend schwerer zu begegnen.

Unlängst hab‘ ich mich vor Aufkommen des Sturms dahingehend diszipliniert, dass ich das ‚glockenhellwach‘ registriert und sofort in die Küche geschleppt habe, statt es im Bett zu wendeln. Kaffee war nicht nötig und auch die Uhr ließ Spielraum für erneuten Schlaf nach Intermezzo. Offenes Gelände also.

Strategie:
Maltasche raus!
Aquarell.

Hürde:
Kein Motiv.

Das Erste, was mir aus Traumresten entgegen fiel war der Blick von der Westseite der Oberbaumbrücke Richtung Kreuzberg, Mit Kathrin war ich dort vor Jahren dort zum X-Jazz Festival.

6.5.2017 Natalia Mateo @ x-jazz im fluxbau

Nathalia Mateo, die ich in Achims 2RaumWohnung erstmals gesehen, sofort verehrt und in den darauf folgenden Jahren bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit gehört habe. Ihre Version von ‚windmills of my mind‘ bewegt und beflügelt mich bis heute jedes mal.

Natalia Mateo am 4.7.2015 @seppmaiers2raumwohnung

Wir hatten uns vorher bei Salut getroffen. Tee und Teilchen. Das Konzert war sehr Jazz und für Kathrin eher ‚ein Versuch‘, der Abend insgesamt stimmig und schön. Der Blick auf dem Rückweg, wie sich die Lichter des Ladens im Wasser der Spree spiegeln und sich der rote Ballon, der sich in der Mitte an hoher Stange (wodurch eigentlich verursacht?) immer in veränderter Position zeigt. Zeit? Wetter? Laden auf/zu? Keine Ahnung, bis heute nicht. Auch etwas, was mich schon ewig interessiert, was ich aber nie versucht habe herauszufinden. Der Blick zurück fühlt sich gut an.

Ich diszipliniere mich ein weiteres Mal und nehme das Handy nicht in die Hand, versuche es aus dem Bild in meinem Kopf und erziele, ungeübt wie ich mit dieser Technik noch bin und eingedenk der Tatsache, dass ich eh weder Zeichnen noch malen kann, was mich nicht davon abhält es mit stetig wachsender Begeisterung zu tun, ein Ergebnis.

Muss trocknen.

Ich kann danach noch 2 Stunden ruhig und erholsam schlafen, ehe der Wecker um sechs Uhr klingelt.

Nach dem Aufstehen mache ich den Bildabgleich mit dem ikonischen Foto der Oberbaum-Perspektive. Das Bild, indem Elmo ebenso wie in dem Panoramabild vom See und dem Strandbad, analog zu mir sofort in der Spiegelung der Peaks und der Form die gesamte ‚wave-Struktur‘ der Sounddatei erkannt hat, ist klar und konturiert, der rote Ballon zentriert es nur zusätzlich. Ein Detail.

Dennoch steht er im Mittelpunkt und der Rest sind Farben und Konturen, das Bauwerk, das Licht die Spiegelung im Wasser verneigen sich quasi vor dem runden Ding in lipstick-red. Die Farbe meiner Küche, by the way….aus Gründen wohl springt mich das Teil so an. No Mirror but ball. Und eben DIESES Rot.

Nach dem früh beendeten Bürotag gehe ich dann folgerichtig auch hin. Der Reiz, den es ausübt bei Salut in der Vorfrühling schreienden Nachmittagssonne Tee zu trinken und wenn’s denn passt ein paar Gedanken nieder zu legen ist nicht der einzige Treiber. Ich will hinüber gehen über die Brücke, vorher hinter der East Side Gallery am Ufer entlang und es mir anschauen. Verschiedene Perspektiven dazu einnehmen und herausfinden, warum es mitten in der Nacht mit mir sprechen wollte. Ich möchte an dem Punkt stehen wo das Bild gemacht wurde und schauen ob irgendetwas in oder mit mir passiert, wenn ich vor Ort bin.

Die Oberbaumbrücke verbindet die Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg und ist als imposantes Bauwerk ein Wahrzeichen der Stadt. Mehr als nur angelehnt an die Architektur einer Burg in der Mark Brandenburg führt sie Straßenverkehr, Radfahrer, Fußgänger und, sozusagen im Obergeschoss, die U Bahn über die Spree. Wenn man den Gang auf der Ostseite zwischen den Bögen hinübergeht bietet sich ein Mix aus olfaktorischen Zumutungen, sozialem Elend, manchmal Musik dazwischen und zum Sonnenaufgang, wenn dann auch noch leichter Nebel über dem Fluss liegt ein paar prima Photomotive.

Der Übergang auf der Westseite hält auf dem Brückenwerk ein paar Ausbuchtungen bereit. Eine davon war der Standort für das auslösende Bild. Ein Ort an dem ich oft angehalten und einfach ein wenig geschaut oder in schlechteren Zeiten versucht hab‘ mich durch Konsum zu dämpfen, was natürlich, wie so vieles in den letzten Jahren, eher grandioser Unfug war.

Die Treptow Jahre haben mein Verhältnis zu den Brücken verändert. Da der Berliner viel im Kiez lebt sind solche Ausflüge über den Fluss nicht die Regel. Die Pendelei und das Büro am Holzmarkt haben mit das zum alltäglichen Geschäft gemacht und auch Auto war da, wieder meine sonstigen Lebensverhältnisse oft ein Thema.

Die Elsenbrücke, von der ich einst in die Spree mich hab fallen lassen (‚geh raus und sing!) kaputt und abgerissen, im Provisorium verharrend noch für Jahre.

Die Oberbaum hatte immer den Charme des Blicks auf ein sich stetig veränderndes Szenario. Zum Osten hin der Urban Spree Bereich, nach Westen der Unfug, den sie an der Gallery veranstalten. Vom Sponsored by Grossarenaumfeld will ich gar nicht anfangen. Aber genau das ist eben Berlin und auch genau das macht es aus. Gemüseschlachten und Kunstmärkte, nur noch eine Spur für Autos, abgetrennte Radwege und genug Platz für Fußgänger. Vielleicht irgendwann auch noch in der Verlängerung der M10 die Bimmel dazu, die dann gerade die Falkensteiner Runter durch‘n Görli bis Neukölln… Ja ja Berlin….iss ja gut. Nicht mit dem derzeitigen Senat. Der möchte ’ne U Bahn nach Weißensee, Magnetschwebebahn-Experimente aber vor allem immer noch Vollgas möglichst unbeschränkt für’s Blechgewitter.

Es würde genügen einmal genau hinzuschauen um fest zu stellen warum die Oberbaumbrücke ein immer entspannt wirkender Ort ist. Eben wegen der Trennung des Verkehrs und dem reduzierten Tempo, welches auf ihr herrscht. Selbst die U-Bahn scheint sich in Vorbereitung auf das Kreuzberg S zum Schlesi nicht nur gezwungen, sondern lustvoll zu verlangsamen um dann wahlweise mit Sonne im Rücken in den Tag oder aus dem Tag in den Sonnenuntergang zu rattern.

Ich hab‘ trotz der nächtlichen Kunstattacke nichts gespürt als ich dieses mal dort war und auch bei Salut gab’s entgegen der Vorsätze nur einen mittelkurzen Tee. Es hatte eine Klärung gebraucht. Die war erfolgt. Ich war weit genug gegangen dafür. No Poetry this time.

Zurück mit der U-Bahn.